Karl von Holtei                      Madonna

                                                               Dresden 1820

 

 

I. Vor Raphael

 

Ich rufe dich! Vermagst du, dich zu heben,

So folge mir! Was meine Blicke künden:

Glanz, Demuth, Liebe – Alles wirst du finden

Bei sinnigem und innigem Bestreben.

 

Zwar kann ich keine ird’sche Kunde geben,

Die kalten Forscher werden’s nie ergründen;

Wer sich allmählig will an mir entzünden,

Der lass’ im Schauen fromm sein Herz erbeben.

 

Wenn du mich anflehst, will ich gern dich segnen,

Mitleidig fühl ich, Mensch, all’ deine Mängel:

Erkennen kann mich nie die Erden-Rohheit.

 

Der Liebe aber will ich lieb begegnen,

D’rum send’ ich dir vertraulich sel’ge Engel,

Vermittler zwischen dir und meiner Hoheit.

 

 

II. Vor Holbein

 

Ich kam herab, mich unter euch zu stellen!

Aus ew’ger Mutterliebe zu euch Armen

Umfang’ ich euch mit off’nen Mutterarmen

Und will euch schön die Erdennacht erhellen.

 

Eröffnet eurer Augen süße Quellen,

Ihr Jungfrau kommt, die Jungfrau fühlt Erbarmen,

An ihrem Herzen sollt ihr all’ erwarmen!

Ich kam zu euch! Kommt her aus euren Zellen!

 

Sanft weiblich bin ich in dies Bild getreten,

Der Meister hat den Pinsel nur geführet,

Ich lehrte selbst den Künstler, mich zu malen.

 

D’rum mögt ihr immer zu den Bildern beten;

Mein ist die Milde, wenn sie hier euch rühret,

Mein sind die Zauber, die euch dort bestrahlen.

 

 

 

Karl von Holtei                      An Ludwig Löwe

                                                               Nach Darstellung des „Correggio.“

1822

 

Dein treu Gemüth im kindlich frommen Streben,

Dein glühend Herz, erfüllt vom Duft der Farben,

Dein zartes Lieben und dein männlich Darben,

Dein mildes Antlitz und dein häuslich Weben;

 

Dein still bescheiden ahnungsvolles Leben,

Dein kühn Entsagen, wenn die Freuden starben,

Dein heilig Hoffen auf den Tag der Garben,

Dein Hoffen auf ein ewig Künstlerleben: -

 

Es war kein Traum, wir haben es empfunden,

Vor unsern Augen hat es sich entfaltet,

Wir sahen dich bedrängt – bedrängt - getötet

 

Von grünem Lorbeer bleibst du stets umwunden,

Trägst in der Welt, wo rohe Schwere waltet,

Dein liebes Haupt, vom Ruhme leicht geröthet.

 

 

 

 

Karl von Holtei                      Lipinski

 

Wie heißt der Mann, der aus vier armen Saiten

So mächt’ge Worte weiß hervorzulocken,

Daß in Bewunderung die Puls’ uns stocken,

Wenn alle Herzen Opfer ihm bereiten?

 

Daß uns geschieht, als ob aus blauen Weiten

Die Töne niederschwebten, zart wir Flocken,

Und kräftig dann, als ob mit allen Glocken

Geläutet würde, für die Kunst zu streiten?

 

Wie heißt er wohl, der seelenvolle Meister,

Der mir erscheint, ein Herrscher, im Gefilde

Der Musika, der heiligen, erkoren?

 

Der Bundsgenosse schon verklärter Geister,

Tonkünstler,  feurig,  fromm,  stark,  streng und milde? –

Lipinski ist’s, im Polenland geboren